Nix als Fußballschaun? Zur Geschichte des Kickens

Es scheint, als drehe sich die Welt zurzeit um nichts anderes. Fußball, das ist nicht einfach irgendein Sport. Ist er heute nicht, war er nie: Warum das Kicken zu den ältesten Sportarten der Menschheit gehört, von erlauchten Spielern, königlichen Verboten und wie der Fußball in seiner heutigen Form die Welt eroberte.

Millionen Spieler, Milliarden Fans. Keine andere Sportart kann dem Fußball in Sachen Beliebtheit das Wasser reichen. Heute nicht, damals nicht:  Die Kunst einen Ball (oder ein vergleichbares Objekt) zu kicken, lässt sich bis an die Anfänge der menschlichen Zivilisation zurückverfolgen. Von Asien, über Europa bis nach Süd- und Nordamerika, überall kannten bereits erste Hochkulturen solche Spiele oder Rituale.

Made in China
Die allerersten Fußballer aber stammen aus China. Hier finden sich die ältesten Zeugnisse eines Fußballspiels, das seinen Ursprung schon im 3. Jahrtausend v. Chr. hat.  Spätestens zur Zeit der Han Dynastie (206 v.Chr. bis 221 n.Chr.) war Tsu' Chu – was so viel wie „Ball treten“ bedeutet – ein beliebter und weitverbreiteter Sport. Beliebt bei der königlichen Familie, aber auch als Teil des militärischen Trainings der Armee.
Ob tatsächlich ein direkter Zusammenhang mit dem modernen Fußball besteht ist umstritten. Zweifelsohne aber kommt Tsu' Chu dem heutigen Sport recht nahe: Ein Lederball, gefüllt mit Federn oder Fell, zwei Teams an Spielern, ein abgestecktes Spielfeld. Zwei Tore aus Bambusstöcken, dazwischen ein Netz aus Seide, in dem ein 20 bis 30 Zentimeter großes Loch klafft. Ziel des Spieles war es, möglichst viele Bälle durch eben dieses Loch zu befördern. Erlaubt war das Spielen mit Füßen, Brust, Rücken oder Schultern – der Einsatz der Hände war in den meisten Tsu' Chu Varianten verboten.

Calcio Fiorentino
Auch in Europa werden seit Jahrhunderten unterschiedliche (Fuß)ball-Sportarten gespielt. Mannschaftspiele, die ein ballähnliches Objekt, den Einsatz der Füße und eine Form von Tor beinhalteten, erfreuten sich schon bei den Römern, aber auch später im Mittelalter, größter Beliebtheit.
Calcio etwa wurde im Florenz des 16. Jahrhunderts betrieben. (Calcio, „treten“, bedeutet übrigens auch heute im Italienischen „Fußball“). Zunächst war dieser Sport, eine Art Mischung aus Fußball und Rugby, allein dem Adel vorbehalten. Gespielt wurde in feinster Kleidung, aber mit vollem Einsatz. Calcio war eine recht grobe Angelegenheit. Dennoch, oder vielleicht auch gerade deswegen, war dieser Sport überaus populär. Unter seinen Anhängern finden sich Berühmtheiten wie Leonardo da Vinci, oder auch der Papst. Von mindestens (drei aus Florenz stammenden) Päpsten ist überliefert, dass sie selbst in ihrer Jugend kickten.

Königliche Verbote
Ganz anders stellte sich die Situation damals ausgerechnet in jenem Land dar, das später zum Geburtsort des modernen Fußballs werden sollte: In England. Hier hatten die gängigen Spielformen keine Freunde in der Oberschicht. Diese Spiele waren meist äußerst brutal, alles war erlaubt, nur Tote sollte es keine geben. Zu gewalttätig, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, eine Ablenkung vom ehrenwerten militärischen Training – mit diesen Argumenten wurde Fußball zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert immer wieder per königlichem Dekret verboten.

Ein Sport für Gentlemen?
Etwas mehr als 100 Jahre später aber entdeckte auch die britische Upper-Class den Fußball für sich – und machte ihn zu dem modernen Massensport, den wir heute kennen.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Fußball – in einer weniger aggressiven Variante – an englischen Privatschulen, in denen Sport generell ein wesentlicher Aspekt der Erziehung war, als Schulsport eingeführt. Dazu brauchte es klare Regeln: Die Zahl der Spieler wurde limitiert, die Größe des Spielfeldes und die Dauer des Spiels festgelegt, klare Verhaltensregeln definiert.
Zunächst hatte jede Schule noch ihre eigenen Regeln. Manche erlaubten das Laufen mit dem Ball in Händen, andere nicht. Differenzen, aus denen sich letztlich zwei unterschiedliche Sportarten entwickelten: Wir kennen sie heute als Fußball und Rugby.

Im November 1863 schließlich trafen Vertreter unterschiedlicher Schulen und Fußball-Teams in London zusammen um sich auf einheitliche, für alle verbindliche Fußballregeln zu einigen. Und um bei dieser Gelegenheit die Football Associaten, den weltweit ersten Fußballverband zu gründen. Zwar wurden infolge noch einige Modifikationen vorgenommen – etwa Bestimmungen zur Spieleraufstellung, zu Größe und Gewicht des Balles, zum Dress der Spieler oder die Einführung eines Schiedsrichters – im Wesentlichen aber stellt dieses Regelwerk die Basis der noch heute gültigen Fußballregeln dar.
1871 geschah übrigens dasselbe für den Brudersport Rugby: Ein einheitliches Regelwerk wurde geschaffen und die Rugby Football Association ins Leben gerufen.

Die Eroberung der Welt
Wäre der Fußball an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit entstanden, er wäre vielleicht nie zu dem weltweit so populären Sport geworden, der er heute ist. Großbritannien aber war im 19. Jahrhundert eine wirtschaftliche und politische Weltmacht, ein riesiges Kolonialreich, dessen Einfluss sich über den ganzen Globus erstreckte. Gemeinsam mit englischen Soldaten, Händlern und Expats gelangte der moderne Fußball – und die Leidenschaft dafür – bis in die entlegensten Winkel der Welt.

Wiener Wuchtln
Auch im Habsburgerreich begeisterte man sich schnell für das Kicken. 1894 fand in Wien das erste offizielle Spiel zweier erst im selben Jahr gegründeter Vereine statt, einer davon die heutige Vienna. Noch war Fußball primär ein Vergnügen des Bürgertums, die vorstädtischen Arbeiter aber zogen rasch nach: 1897 wurde der „Ersten Wiener Arbeiter Fußball-Club“ gegründet – heute bekannt als Rapid.

Rätselhafte Leidenschaft?
Die Geschichte des modernen Fußballs ist mittlerweile gut erforscht, die meisten Fragen sind beantwortet. Ein Rätsel aber bleibt bestehen: Warum gerade Fußball? Was macht ausgerechnet diesen Sport so ungemein erfolgreich?
Mögliche Begründungen dafür gibt es viele. Jeder Spieler, jeder Fan hat vermutlich eine eigene Antwort. Auch die Wissenschaft bietet unterschiedliche Thesen zur Erklärung: Ist es, weil Fußball der Austragung von Aggressionen, Rivalitäten und Konflikten einen „zivilisierten“ Rahmen bietet? Ist es, weil dort, in einer immer mehr individualisierten Welt, noch wahre Gemeinschaft und Zugehörigkeit zu finden sind? Ist es, weil hier auch „starke Männer“, egal ob Spieler oder Fan, Emotionen zeigen dürfen? Toben, wüten, weinen, einander in die Arme fallen – wo sonst darf man(n) das?
Eine simple Erklärung für den einzigarten Erfolg des Fußballs gibt es nicht. Muss es aber vielleicht auch gar nicht, dem Spaß an der Sache tut das schließlich keinen Abbruch.

Abschließend, der Ehrlichkeit halber, nun noch ein kleines persönliches Outing: Fußball ist ein faszinierendes Phänomen, er hat eine fesselnde Geschichte. Ich respektiere die Leidenschaft der Fans, ich bewundere die Leistungen der Spieler – aber, ich persönlich, ich als Zuschauerin, finde Rugby einfach spannender.

Lektüre zum Thema:

  • Christian Brandt/Fabian Hertel/Christian Stassek (Hrsg.), Gesellschaftsspiel Fußball. Eine sozialwissenschaftliche Annäherung. (Wiesbaden 2012).
  • Alexander Cardenas, Football. Origins, Paths and New Dimensions (Masterthese, Wien 2010).
  • www.fifa.com/about-fifa/who-we-are/the-game

 

Martina Nothnagel