Glory Times? – Zu Jugend, Jugendlichkeit und dem Erwachsenwerden

Heute gilt: Jugendlich wollen wir sein – körperlich, geistig und am liebsten für immer. Erwachsenwerden hat irgendwie seinen Reiz verloren, zumindest für die, die es eigentlich schon sind. Zugleich weiß keiner mehr so genau, wann die Jugend eigentlich endet. Vor nicht allzu langer Zeit war das aber noch ganz anders: Wie ein unbedeutender Lebensabschnitt zum zentralen Ideal unserer Gesellschaft wurde.

Schon in der Antike suchte man nach dem mythischen Jungbrunnen – einer Quelle, deren Wasser, so die Legende, ewige Jugend verheißt. Der Wunsch, Alter und Vergänglichkeit zu trotzen ist also nicht allein ein Phänomen unserer Zeit.
Im Gegensatz zu heute waren die Jahre zwischen Kindheit und Erwachsenenleben früher allerdings kurz, klar definiert und im Allgemeinen wenig erstrebenswert: Kein Kind mehr und damit voll arbeitsfähig. Noch nicht erwachsen und damit abhängig von anderen.
Bis ins 18. Jahrhundert verließen junge Menschen in Europa im Alter von sieben oder acht Jahren ihr Elternhaus um sich anderswo als Dienstbote, Page oder Landarbeiter zu verdingen. Die vollen Rechte eines Erwachsenen aber blieben ihnen bis zur Heirat, etwa im 18. Lebensjahr, verwehrt.
Doch auch das verbleibende Erwachsenenleben war – aus heutiger Sicht – erbarmungslos kurz. Die meisten dieser Jugendlichen hatten (mit Ausnahme einer kleinen, wohlhabenden Oberschicht) eine Lebenserwartung von etwa 30 Jahren. Ein Alter, in dem heute noch nicht einmal die Jugend richtig zu Ende ist.

Heute werden wir immer älter und wollen dabei immer jünger bleiben. Jugendlichkeit in Körper, Herz und Geist heißt heute das erklärte Ziel bis ins hohe (biologische) Alter. Zugleich dehnt sich die Phase der Jugend immer weiter aus. Werden die Grenzen zwischen den Lebensphasen immer diffuser. Wird es immer schwieriger zu erkennen, wann wir nun tatsächlich erwachsen sind, oder es sein sollen. Aber, was heißt Erwachsensein schon in einer Zeit, in der ältere Generationen jugendlicher sein wollen als die Jugendlichen selbst? Wie wurde aus einem beschwerlichen, kaum beachteten Lebensabschnitt das leitende Ideal unserer modernen Gesellschaft?

Die Entdeckung der Jugend
Erst im 19. Jahrhundert wurde die Jugend zu einem eigenständigen, zeitlich klar definierten Lebensabschnitt, der etwa die Zeit zwischen dem 14. und dem 24. Lebensjahr umfasste und den alle gleichermaßen durchliefen. Eine wesentliche Rolle spielte dabei vor allem die Einführung der Schulpflicht, die Jugendjahre und Lebenslauf vereinheitlichte.
Von einer Verklärung der Jugend war man damals allerdings noch weit entfernt. Jugend stand gemeinhin für Jugendkriminalität (für allem in der Arbeiterschicht), Gewalttätigkeit zwischen rivalisierenden Gruppen, für provokantes Auftreten. Die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts fürchtete die Jugend mehr als sie sie beneidete.

Anfang des 20. Jahrhunderts gewann die Jugend für Gesellschaft und Politik immer mehr an Bedeutung. Erste Jugendbewegungen entstanden, sowohl in der Arbeiterbewegung als auch im bürgerlichen Milieu. Ihre relative Freiheit aber war schon bald wieder vorüber. Im nationalsozialistischen Regime hatte die „Deutsche Jugend“ klaren Vorstellungen zu entsprechen. Sie wurde instrumentalisiert, indoktriniert und in der Hitlerjugend bzw. dem Bund Deutscher Mädchen zu politischen Marionetten geformt.
Aber auch Jugendliche leisteten Widerstand. Manche mit politischen Zielen und Aktionen, andere allein durch ihre Begeisterung für Swing, Jazz und den „american way of life“. Für viele war der Preis dafür die Deportation in Umerziehungslager und Jugend-KZs.

Der Siegeszug der Jugend
Erst in der Nachkriegszeit konnte sich die Jugend immer mehr zu jener Lebensphase entfalten, als die wir sie heute kennen. Zunehmender Wohlstand, bessere, vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten sowie längere Ausbildungswege machten die Jugend zu einer immer reizvolleren und immer länger andauernden Lebensphase. Kindheit und Jugend waren nicht länger untergeordnete Passagen auf dem Weg zum Erwachsenenleben, sondern vielmehr eigenständige, vollwertige und wertvolle Lebensabschnitte.
Es ging nicht länger darum, möglichst schnell erwachsen zu werden, den Erwachsenen nachzueifern. Nein, es galt vielmehr sich unbedingt von der älteren Generation zu unterscheiden. Durch Kleidung und Musik, aber auch durch Werte, Sprache und Lebenseinstellung setzten sich Jugendliche klar von der Welt der Erwachsenen ab.

Auf diese Weise entdeckte in den 1950er Jahren ein ständig an Macht gewinnender Industriezweig auch die Jugend für sich: Die Konsumindustrie. Schallplatten, Radios, Kosmetik, Bekleidung, Zeitschriften –  ausgehend von den USA entstand auch in Europa bald eine regelrechte Teenager- und Jugend-Industrie. Eine Industrie, die das Wesen der Jugend nicht nur aufgriff, sondern auch außerdem formte und prägte.

Diffuse Zeiten
Mittlerweile sind Jugendkulturen zur globalen Leitkultur geworden. Einstmals klar definierte Lebensphasen sind diffus geworden: Verbindliche Lebensmuster und Lebensverläufe haben sich aufgelöst. Singleleben, unverbindliche Beziehungen, Ehe, Kinder – alles optional und in beliebiger Reihenfolge möglich. Ausbildung, Beruf, Karriere – alles wechselhaft und bis ins hohe Alter flexibel.
Jugend und Jugendlichkeit sind inzwischen die begehrtesten Werte unserer alternden Gesellschaft. Vielleicht auch, weil alles was wir heute anstreben mit dem Alter scheinbar nicht besser wird. All unsere Ideale – Schönheit, Aktivität, Erfolg, Leistung – scheinen in jungen Jahren leichter zu erreichen.

Conclusio?
Die Jugend, wie wir sie heute verstehen, ist keineswegs eine historische Selbstverständlichkeit. Sie ist ganz im Gegenteil ein relativ neues Phänomen. Soviel ist klar.
Weniger klar ist die Antwort auf die Frage nach dem Erwachsenwerden und -sein. Auch ich kann keine einfache Antwort bieten, nicht als Sozialwissenschaftlerin und auch nicht als Mittdreißigerin. Vielleicht ist es charakteristisch für die ewige Jugend von heute, langsam von Young Care Produkten auf Anti-Aging Serien (der Konsumindustrie sei Dank!) umzuschwenken und zugleich doch noch mehr unterwegs zu sein im Leben, als angekommen. 

Lektüre zum Thema:

  • Rosa Reitsamer, Jugend und Jugendkulturen. In: Reinhard Sieder/ Ernst Langthaler (Hrsg.), Globalgeschichte 1800 – 2010. (Wien 2010), 389 – 411.
  • Malte Mienert, Total Diffus, Erwachsenwerden in der jugendlichen Gesellschaft. (Wiesbaden 2008).
Martina Nothnagel