Apocalypse tomorrow?

Die Welt, wie wir sie kannten, ist im Umbruch. Existenzielle Unsicherheit, unaufhaltsamer Klimawandel (mit unvorhersehbaren ökologischen, ökonomischen, aber auch sozialen Konsequenzen), dramatisches Anwachsen der sozialen Ungleichheit, Migrationswellen und Flüchtlingskrisen. Die Gegenwart scheint beängstigend. Der Gedanke an die Zukunft spendet auch keinen Trost. Können wir denn noch an eine Zukunft mit mehr Wohlbefinden, mehr Wohlstand, mit einer „besseren“ Welt für die nächste Generation glauben? Es sieht nicht so aus. Die Einsicht, wie zerbrechlich das Leben ist, das wir uns so mühsam aufgebaut haben. Das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der Erkenntnis, dass unsere Welt sich so drastisch, so unweigerlich verändert. Die Zukunft macht in erster Linie Angst. Wie soll das alles nur werden? Einfache Antworten gibt es nicht. Sicher ist nur: Anders wird es bestimmt.

Ich hatte viel Zeit zu lesen in den letzten Wochen. Das war fantastisch. Ganz im Gegensatz zum Resultat meiner beschaulichen Lesestunden. Dabei sind diese Einsichten weder sensationell neu noch wirklich überraschend. Und es braucht auch nicht unbedingt die Werke scharfsinniger Denker, um zu diesen Einsichten zu gelangen. Die tägliche Lebenserfahrung reicht aus.

Ungewissheit
Arbeit verspricht heute kaum noch Sicherheit und beruhigende Stabilität. Stattdessen herrscht „endemische Ungewissheit“ (wie der Soziologe Zygmunt Bauman formuliert). Der Arbeitsmarkt wird dereguliert, die Arbeit flexibilisiert, was bleibt ist ein allgegenwärtiges Gefühl der Unsicherheit und Konkurrenz.
Vor allem junge Menschen sehen keinen Grund für Optimismus. Das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung als gerade noch Millennial, sondern eine durch zahlreiche Studien belegte Tatsache. Die sogenannten Millennials – zwischen 1980 und 2000 Geborene – sind die erste Nachkriegsgeneration, die keine Aufstiegserwartungen hegt. Anstatt (realistisch erscheinender) Hoffnung auf Verbesserung und Vorwärtskommen, kämpfen sie (wir) mit Verlustängsten und der Furcht vor sozialem Abstieg.

Armut
(Soziale) Ungleichheit ist dieser Tage flotten Schrittes am Vormarsch. Schon seit den 1970er Jahren klafft der Abgrund zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Seit den 2000er Jahren wächst die Ungleichheit rasant. Heute hat sie Ausmaße erreicht, die zuletzt in den 1920er Jahren traurige Realität waren.
Gegenwärtig besitzen 10 Prozent der Menschheit etwa 86 Prozent aller verfügbaren Ressourcen. Die globale Mittelschicht (etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung, die fast ausschließlich in westlichen Ländern zuhause sind) verfügt über 14 Prozent. Der Rest, die übrigen 50 Prozent der Menschheit, besitzt so gut wie nichts. Anders formuliert: Die „untere Hälfte“ der Menschheit, immerhin 3,5 Milliarden Menschen, verdienen alle zusammen etwa 1 Prozent des Welteinkommens. Genauso viel also wie die 85 reichsten Menschen dieser Welt. Dieses globale Phänomen ist natürlich lokal sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Österreich ist die Situation deutlich weniger drastisch. Daraus zu schließen, globale Entwicklungen würden uns nicht betreffen, wäre allerdings fatal. Heute gibt es kein Lokal und National mehr, das nicht in ein globales Netz eingebunden ist.

Flucht
Auch das „Flüchtlingsproblem“ (Die Fragen: Wohin mit all diesen Menschen? Wie umgehen mit all den „Fremden?) wird sich so schnell nicht lösen. Schon gar nicht wird es sich so einfach lösen lassen, wie Rechtspopulisten versprechen.
Flüchtlinge sind, mit dem Philosophen Slavoj Žižek gesprochen, „der Preis der globalen Wirtschaft“. Die Migrationswelle, die uns derzeit beschäftigt (und zu spalten droht), ist keine einmalige Ausnahmeerscheinung. Sie ist viel wahrscheinlicher ein Vorgeschmack auf die Zukunft. Sei es aufgrund bewaffneter Konflikte, neuer „Schurkenstaaten“, Wirtschaftskrisen oder auch (und dieser Punkt darf keinesfalls unterschätzt werden) aufgrund globaler und lokaler Umfeldveränderungen – es wird in Zukunft immer wieder Migrationswellen geben. Massiver sozialer und demografischer Wandel kann und wird nicht ausbleiben.

Angst
All das macht vielen Menschen Angst. Auch wenn diese Angst verständlich, ja vielleicht sogar gerechtfertigt ist, so ist sie auch gefährlich. Angst, Unsicherheit, Frustration und hilflose Wut sind genau der Nährboden, auf dem rassistisches und rechtspopulistisches Gedankengut wunderbar sprießt. Liegt es doch seit jeher in ihrem Wesen, gekonnt die Wut der Menschen zu schüren und verführerisch einfache Lösungen für in Wahrheit komplexe Probleme zu versprechen. Lösungen, die freilich keine sind, Versprechen, die freilich nicht gehalten werden können. „Der Punkt ist, dass sich das globale Elend durch vermeintlich schützende Mauern um heimische Gebiete ebenso wenig fernhalten lässt wie die Folgen eines Atomkrieges durch einen Privatbunker.“, wie Zygmunt Bauman treffend bemerkt.

Das Raubtier an unseren Fersen
Die Welt ist also im Umbruch. Daran besteht kein Zweifel. Bleibt die Frage, warum? Die lange Antwort füllt ganze Bücherregale. Die kurze Antwort lautet: Globalisierung und Neoliberalismus.
Globalisierung und Neoliberalismus werden gemeinhin als Wurzel all dieser Übel, als Grund all dieser erschreckenden Entwicklungen gesehen. Der Philosoph Robert Pfaller spricht von einer „brutalen, raubtierhaften neoliberalen Ökonomie“ seit den 1980er Jahren. Er zählt zu jenen, die den Grund des Übels in neoliberaler Austeritätspolitik sehen, die „in den letzten Jahren nicht nur reiche westliche Staaten in den Ruin getrieben und allein in Europa Millionen von Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut gestürzt“ hat, wie er sagt. Die Feministin und Politologin Nancy Fraser wiederum hat den Begriff „progressiver Neoliberalismus“ geprägt, mit dem sie die Verbrüderung scheinbar emanzipatorischer Anliegen (wie etwa der Gleichberechtigung) mit einer verschärften Weltausbeutung beschreibt. Der Soziologe Zygmunt Bauman führt diese Entwicklungen auf eine durch die Globalisierung forcierte Trennung von Macht und Politik zurück: Während die Macht in Händen einer hyperglobalen Wirtschaft liegt, kann die nationalstaatliche Politik ihr Versprechen auf Wohlstand und Sicherheit nicht länger einlösen.

Rückblick als Ausblick
So beängstigend die Gegenwart, so Angst einflößend die Zukunft, so komplex die Ursachen, so schwierig sind (in ihrer Idee oder ihrer Umsetzung) mögliche Lösungsansätze.
Tritt man aber einen Schritt zurück, so bringt eine erweiterte historische Perspektive zumindest zwei Einsichten: Erstens, das Ende der Hoffnung schien schon oft erreicht. Die apokalyptischen Reiter wurden schon oft gesichtet. Zukunftsängste und Zukunftspessimismus sind kein typisch spätmodernes Phänomen. Immer wieder blickten die Menschen finster in die Zukunft (ob sie nun recht behielten oder nicht).
Zweitens, sind Perioden drastischer Veränderung, wie wir sie heute erleben, historisch betrachtet nicht weiter außergewöhnlich. Völkerwanderung, Pestepidemien, Aufklärung, Französische Revolution, Industrielle Revolution (um nur einige willkürliche Beispiele zu nennen) – Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Veränderung, der Migration, der Traumata, der Katastrophen. Und der Überwindung von letzten beiden.

Wenn es also eine Conclusio geben kann, die unterschiedliche Warnungen, Forderungen und Lösungsansätze subsumiert, dann ist das möglicherweise die Folgende: Wir sollten akzeptieren, dass Veränderungen unausweichlich sind. Wir sollten dem unausweichlichen Wandel ins Auge sehen, anstatt uns in Retropien (wie Baumann zeigt), auf „Nebenschauplätze“ (wie Robert Pfaller konstatiert) oder in Illusionen der Verleugnung zu flüchten. Wir sollten versuchen eine „gute Gesellschaft“, im Sinne Zygmunt Baumans zu erschaffen: „Eine Gesellschaft, die nicht davon ausgeht, dass sie schon gut genug ist.“

Lektüre zum Thema:

  • Zygmunt Bauman, Retrotopia. (Berlin 2017)

  • Slavoj Žižek, Der Neue Klassenkampf. Die wahren Gründe für Flucht und Terror. (Berlin 2015)

  • Robert Pfaller, Erwachsenensprache, Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. (Frankfurt am Main 2017)

  • Ulrich Beck, Die Metamorphose der Welt. (Berlin 2017).

Martina Nothnagel