Vikings Nordländische Emanzipation – Mythos, Fiktion oder Fakten?

Es ist so weit: Vikings Staffel 5 ist da! Die Helden der erfolgreichen TV-Serie sind toughe nordländische Krieger und nicht weniger toughe Frauen. Sie sind Mütter, Geliebte, Ehefrauen, Kriegerinnen und Anführerinnen. Aber wie mächtig, frei und emanzipiert waren die Frauen der Wikinger wirklich? Die Suche nach Antworten führt zu überraschenden Ergebnissen – und erzählt ebenso viel über die Vergangenheit, wie über die Gegenwart.

 „í víking“
Ihr Ruf als gefürchtete Krieger und Plünderer eilte den Wikingern bis über die Grenzen Europas hinweg voraus. Tatsächlich war ein Wikinger allerdings nur jemand der „í víking“, das heißt auf Plünderzug, ging. Die Männer und Frauen Skandinaviens während der Wikingerzeit (vom Ende des 8. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts) waren nicht nur die gefürchtete „Geißel Gottes“. Sie waren auch Bauern, Händler und Künstler.

Von solchen Wikingern handelt die History Television Serie Vikings, deren historische Hintergründe akribisch recherchiert sind. Aber auch wenn die Produzenten Wert auf historische Korrektheit legen, die Serie ist Fiktion und hat als solche kreative Freiheiten. Sie erzählt Geschichten. Aber wie viel Wahres steckt in diesen Geschichten und ihren Charakteren? Die „kick-ass“ Wikinger-Kriegerinnen sind sicher ein Teil des Erfolgsgeheimnisses der Serie. Nur, wie historisch korrekt sind die weiblichen Rollenbilder die hier transportiert werden und die so viel Gefallen im Publikum finden?

Mythische Kriegerinnen?
Das Bild der kämpfenden Wikingerfrau ist keine Erfindung der Moderne und schon gar keine Erfindung von Michael Hirst, dem Autor der Serie.
Altnordische Geschichten und mittelalterliche Chroniken erzählen von Kämpferinnen und „skjaldmærs“, Schildmaids, die mit Schwertern und Äxten in die Schlacht ziehen, die an der Seite der Männer „í víking“ gehen, die zu Waffen greifen um ihre Macht zu demonstrieren oder die Ehre ihrer Familie zu schützen. 
Auch der Charakter von Lagertha, der „Power-Frau“ der Serie, basiert auf einer solchen Überlieferung. Sie soll eine berühmte und berüchtigte Schildmaid gewesen sein.
Darüber hinaus finden sich auch in der altnordischen Handwerkskunst Darstellungen weiblicher Wikinger. Zahlreiche Silberfiguren, Schmuckanhänger oder Fibeln zeigen Frauen, bewaffnet mit Schwert, Speer und Schild.
Aber erzählen die Bilder und Geschichten von mythischen Wesen oder sind sie Abbilder der Realität? Als simple Tatsachenberichte jedenfalls können diese Quellen nicht gelesen werden. Die Erzählungen wurden erst nach Jahrhunderten der mündlichen Tradierung niedergeschrieben. Die Chroniken entstanden Jahrhunderte nach der Zeit von der sie berichten. Die reale Existenz der Wikinger-Kriegerinnen können diese Geschichten und Bilder demnach zwar nicht belegen, eines aber beweisen sie: Zumindest die Idee weiblicher Kriegerinnen existierte auf jeden Fall in der Kultur der Wikinger.

Was die Toten erzählen
Weitere Hinweise liefert eine andere Art von Quelle; die Bestattungen. Denn, immer wieder finden sich Gräber von Frauen der Wikingerzeit, denen Waffen und Kriegerattribute mit auf die letzte Reise gegeben wurden.
Aber auch solche Funde werden kontrovers diskutiert, zumal auch diese Quellen mit Bedacht zu interpretieren sind. Bestattungen, d.h. die Beigaben, Totenkleidung usw. können nie als exaktes Abbild des Lebens gelesen werden. Auch wenn eine Frau mit Waffen bestattet wurde, muss das nicht zwingend bedeuten, dass sie auch tatsächlich damit gekämpft hat. Möglicherweise haben diese Beigaben auch eine andere, symbolische Bedeutung.

Letztere Erklärung war lange Zeit der Mainstream der Forschungsmeinung, Wikinger-Kriegerinnen wurden als Mythos abgetan. Das mag zum Teil berechtigte Vorsicht in der Interpretation sein, hat aber auch noch einen anderen – weniger hären – Grund: Das Weltbild der Forschenden beeinflusst immer auch was sie sehen, was sie sehen können und sehen wollen. Wir können in einem Fund nichts erkennen, dass unsere Vorstellungskraft übersteigt, und laufen zugleich Gefahr, zu sehen, was wir insgeheim sehen wollen. Damit beeinflusst auch die Welt in der wir leben, unsere Möglichkeiten die Vergangenheit zu interpretieren. Kurz gesagt: Wer sich eine Welt, in der Frauen den Männern gleichgestellt sind nicht vorstellen kann, kann sie auch in den archäologischen Funden nicht erkennen.
Eine sensationelle Entdeckung, die im September 2017 gemacht wurde, veranschaulicht das eindrucksvoll.

Der „ultimative Krieger“ aus Grab Bj 581
Birka, eine kleine Insel im östlichen Zentral-Schweden. Zwischen dem 8. und dem 10. Jahrhundert ein florierendes Handelszentrum mit Verbindungen bis an die Grenzen Europas. Insgesamt 3000 Gräber wurden auf der Insel gefunden, ca. 1100 davon bisher ausgegraben und archäologisch untersucht. Unter ihnen auch Grab Bj 581, einer der herausragendsten Funde.
Die Beigaben umfassen unter anderem: Ein Schwert, eine Axt, einen Speer, panzerbrechende Pfeilspitzen, Messer, zwei Schilder, zwei Pferde (eine Stute und einen Hengst) – mit anderen Worten, die komplette Ausstattung eines professionellen Kriegers. Außerdem ein Set an Spielsteinen. Eine Beigabe, die die Rolle des Toten als hochrangige militärische Führungsperson unterstreicht, deutet sie doch auf taktisches und strategisches Verständnis hin. Ein „ultimatives Kriegergrab“ also, wie diese Bestattung häufig beschrieben wurde. 

Ausgegraben und untersucht wurde diese Bestattung bereits Ende des 19. Jahrhunderts, was sich auch auf die Genauigkeit der Untersuchung und die Interpretation der Bestattung auswirkte. Für die damaligen Archäologen stand das Geschlecht des Toten nie in Frage. Die Beigaben, die Waffen und Kriegerattribute – der Tote konnte in ihren Augen nur männlich sein.

Erste Zweifel kamen erst über 100 Jahre später auf. Eine Forscherin der Universität Stockholm untersuchte das Skelett (eigentlich für ein anderes Forschungsprojekt) und wurde stutzig: Die Wangenknochen sind ungewöhnlich grazil für einen Mann, das Becken typisch weiblich. Eine DNA- und Isotopen-Analyse brachte im Herbst 2017 schließlich Gewissheit: Der „ultimative Krieger“ war eine Frau.

Diese Entdeckung ändert vieles: Sie liefert handfeste Beweise für die Existenz hochrangiger Kriegerinnen. Diese junge Frau, die im Alter von nur 30 Jahren starb, war nicht nur eine aktive Kämpferin, sie hatte offenbar auch eine hohe militärische Führungsposition inne. Es gab sie also tatsächlich, die berüchtigten Kriegerinnen der Wikinger.

Alltag und Ausnahmen
Alltäglich aber, so der heutige Forschungsstand, waren diese Frauen nicht. Die Gesellschaft der Wikinger war keineswegs egalitär, sie war streng hierarchisch und wahrscheinlich auch patriarchal. War zugleich aber wohl nicht weniger komplex als unsere moderne Gesellschaft heute.
Die Hauptaufgaben der Frau im wikingerzeitlichen Skandinavien lagen für gewöhnlich im Haushalt, am Hof und in der handwerklichen Produktion. Aber auch wichtige religiöse Funktionen wurden von Frauen ausgeübt. Selbst wenn sie den Männern rechtlich nicht gleichgestellt waren, völlig rechtlos waren die Frauen der Wikinger nicht. Sie konnten etwa eigenes Vermögen besitzen und hatten das Recht sich scheiden zu lassen. Trotz Ungleichheit und patriarchaler Strukturen verfügten auch die „normalen“ Frauen der Wikinger damit über wesentlich mehr Freiheiten und Rechte als ihre christlichen Zeitgenossinnen im restlichen Europa.

Außerdem gab es, wie nun bewiesen ist, Ausnahmen: Außergewöhnliche Frauen, die in der ruhm- und glorreichen Sphäre des Kriegertums aktiv waren. Tapfere Kriegerinnen, die anders als die Mehrheit ihrer Geschlechtsgenossinnen ihr Leben nicht mit Haus- und Hofarbeit verbrachten. Sie waren gewiss nicht die Norm. Aber – und das belegt nicht zuletzt Grab Bj 581 – sie existierten.

Was Forscher sehen
Die Geschichte der Kriegerin aus Grab Bj 581 veranschaulicht aber noch etwas: Wie sehr sich unsere Gesellschaft in den letzten 100 Jahren verändert hat. War eine Frau als militärische Anführerin im späten 19. Jahrhundert noch so undenkbar, dass nicht einmal das Geschlecht der Skelette bestimmt wurde, ist die Situation heute eine ganz andere. Unabhängige, emanzipierte Frauen sind heute (auch) Realität – und haben so eine Chance, als solche erkannt zu werden.

Dieses Phänomen beschränkt sich aber keinesfalls auf die Wikingerforschung. In ganz Europa gibt es zahlreiche Beispiele für Gräber aus unterschiedlichen Epochen die im 19. und frühen 20. Jahrhundert ausgegraben und deren Tote nie auf ihr Geschlecht hin untersucht wurden.  Waren die Beigaben „männlich“, war es auch der Tote.
Das bedeutet auch, dass viele Funde noch einmal analysiert und eventuell neu interpretiert werden müssen. Von den etwa 400 aus Schweden bekannten Waffenbestattungen wurde bislang nur für einen verschwindend geringen Teil das Geschlecht anhand des Skeletts bestimmt. Durchaus möglich also, dass noch weitere spannende Entdeckungen auf uns zukommen.

Fin
Manche sind jetzt vielleicht enttäuscht, hätten lieber gehört, dass die Gesellschaft der Wikinger eine von starken, freien und gleichberechtigten Männern und Frauen war. Aber egal wie wir empfinden, das sind nun einmal die Fakten (soweit wir sie heute kennen).
Zugleich zeigt nicht zuletzt die Forschungsgeschichte wie viel sich in den letzten 100 Jahren in Sachen Gleichberechtigung verändert hat. Und ist nicht das Idealbild, das wir von der Vergangenheit haben, in Wirklichkeit ein Bild davon, wie wir uns die Gegenwart – oder, vielmehr die Zukunft – wünschen?

 

Lektüre zum Thema:

  • Charlotte Hedenstierna-Jonson u.a., A female Viking warrior confirmed by genomics. In: American Journal of Physical Anthropology 2017. (https://doi.org/10.1002/ajpa.23308).
  • Sara E. Ellis Nilsson, Writing the Viking Age into existence. In: Historisk Tidskrift 136/4, 2016.
  • Magnus Magnusson, Die Wikinger. Geschichte und Legende. (Düsseldorf 2007).

 

Martina Nothnagel