Mann oder Milch? – Von echten Männern und Neuen Vätern

Ein richtiger Mann geht heute in Elternteilzeit, wechselt die Windeln, schwingt den Staubsauger. Oder nicht? Oder doch? Mann ist verwirrt. Viele stehen verunsichert vor der Frage, was das noch mal war, ein wirklicher Mann, ein richtiger Vater. Dabei sind auch traditionelle Vorbilder keineswegs so naturgegeben wie man meinen möchte. Mann oder Milch – die Antwort fällt historisch ganz unterschiedlich aus.

Der Mann von heute
Man(n) könnte meinen, früher war es klar, was es heißt ein gestandener Mann zu sein. Ein Mann, der war Erzeuger, Beschützer, Versor­ger. Der Mann war zuständig für Versorgung und Schutz der Familie, die Frau für Kinder und Haushalt. Da gab es nichts zu überlegen, nichts zu entscheiden.
Heute ist das anders. Traditionelle Rollenbilder bröckeln, sind nicht mehr umsetzbar, oft nicht mehr erwünscht –  dabei aber immer noch ständig präsent. Der Mann von heute muss sich zurechtfinden unter ambivalenten Anforderungen und Idealen. Zweifel und Unsicherheit was ein echter Mann, ein richtiger Vater nun ist, was er leisten soll, machen sich breit. Vielfach wird gar eine Krise der Männlichkeit konstatiert.
Das zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel Familie und Vaterrolle. „Neue Väter“ werden gefordert und gefördert. Aber was macht ihn aus, den Neuen Vater? Und was war denn eigentliche der „alte“?

Biologie und Kultur
Was ein Mann – also ein wahrer Mann ist – bestimmt nicht allein die Biologie. Vielmehr sind es Gesellschaft und Kultur, die Idealbilder vorgeben, an denen Mann und Frau sich orientiert. Von klein auf werden Regeln dazu eingeübt, was Mann und Frau kann, soll und muss. Idealbilder der Männlichkeit – und damit auch der Väterlichkeit – sind keine Naturgesetze, sie haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder gewandelt – und tun es noch. Manchmal ist ein echter Mann ein großer Denker, manchmal ein brachialer Krieger, manchmal ein Gutverdiener und manchmal eben daheim in Karenz.

Neue Männer, Neue Väter
Was ist das aber nun tatsächlich, ein „Neuer Vater“? Ihn macht die Ablehnung von traditionellem, patriarchalen Familienmustern und Rollenzuschreibungen aus. Gemeinhin wird darunter ein Vater verstanden, der sich aktiv an der Elternarbeit beteiligt. Er ist selbstverständlich anwesend bei der Geburt (war das in den 1970er Jahren noch undenkbar, hat heute die väterliche Abwesenheit im Kreissaal Erklärungsbedarf), wechselt die Windeln, schiebt den Kinderwagen. Er unterstützt die Karriere und Berufstätigkeit der Mutter, nimmt dazu Elternteilzeit in Anspruch und stellt seinen Beruf für die Familie zurück.

Nichtsdestotrotz: Das traditionelle Familien-Modell – der Vater als abwesender Ernährer, die Mutter als allein Zuständige für Kinder und Haushalt – ist immer noch präsent. Manchmal in der Praxis des Alltags, zumindest aber im Denken. Nicht zuletzt als Kontrastfolie vor der die aktuellen Veränderungen diskutiert und bewertet werden, ist dieses Modell nach wie vor gegenwärtig.

Gar nicht so alt, gar nicht so neu?
Allerdings: Das viel diskutierte traditionelle Modell, der Mythos einer solchen quasi natürlichen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, ist genau das – ein Mythos. Ein Vater, der sich aktiv in der Elternarbeit engagiert ist keineswegs die revolutionäre Neuerung als die er häufig dargestellt wird.
Die „traditionelle“ Vaterrolle, die „traditionelle Normalfamilie“ (bestehend aus Vater, Mutter und leiblichen Kindern) ist in Wahrheit eine Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts, mit einer kurzen Blütezeit in den 1950er und 1960er Jahren. Sie hatte also gerade mal etwas mehr als 100 Jahre Bestand – und auch dann keineswegs in allen Bevölkerungsschichten, wie wir gleich noch sehen werden. 

Im 17. und 18. Jahrhundert war es weitgehend selbstverständlich, dass der Vater regen Anteil am Familienalltag nahm. Kinder wurden als das Eigentum des Vaters betrachtet, um das er sich zu kümmern hatte. Schutz, Sorge und Unterhalt der Kinder lagen in seiner Verantwortung, was eine ebenso große väterliche wie mütterliche Beteiligung an der Erziehung einschloss. Bis ins 19. Jahrhundert galten väterliche Fürsorge und aktive väterliche Mitarbeit nicht als Bedrohung, sondern vielmehr als Bestätigung von Männlichkeit.
Ermöglicht wurde dies auch durch damals vorherrschende Organisation von Familie und Arbeit. Zu einem Haushalt (einer Hauswirtschaft) gehörten nicht allein die Eheleute und deren leibliche Kinder. Vielmehr lebten mehre Generationen gemeinsam mit Arbeitskräften und Bediensteten (Mägde,  Knechte, Gesellen) unter einem Dach. Der Vater als Hausherr, war jener Mann der dem Haushalt vorstand, und zwar für alle Haushaltsmitglieder. Die Hauswirtschaft war Wohn-, Lebens- und Arbeitsort zugleich.

Die damals selbstverständliche Verbindung von Männlichkeit, Vaterschaft und dem Kümmern um die Kinder löste sich erst im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung und dem damit einhergehenden Wandel des Familienlebens und Familienalltags. Der Wohnort, der Ort an dem sich das Familienleben abspielte, war nun für die meisten Männer nicht länger zugleich auch der Arbeitsort. Der Vater war die meiste Zeit über abwesend, um in Fabriken und Industrie zu arbeiten und für das materielle Auskommen der Familie zu sorgen.
Der Mann wurde zum abwesenden Ernährer. Der Vater wurde an die Peripherie der Familie gedrängt, wurde zur distanzierten Autorität im Hintergrund. Ein Mann definierte sich nunmehr primär über seinen Beruf, seine Arbeit, seine Leistung; ein Vater über die Sicherung der materiellen Existenz der Familie.
Gleichzeitig wurden Frauen immer mehr in die einseitige Rolle der fürsorglichen Ehefrau, Hausfrau und Mutter gedrängt. Die nunmehr weiblichen Bereiche Familie und Haushalt, waren (und sind) außerdem zugleich jene Bereiche, die gesellschaftlich vergleichsweise wenig Wertschätzung erfuhren.

Gleichwohl: Eine genauere Betrachtung zeigt, dass auch dieses „traditionelle“ Norm-Modell selbst damals nicht so verbreitet war, wie häufig angenommen. Lediglich das besser gestellte Bürgertum konnte diese Vorstellungen etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich umsetzen. Arbeiterfamilien hingegen konnten sich das schlicht nicht leisten: Auch Frauen und Mütter mussten arbeiten gehen, um das Auskommen der Familie zu sichern. Einzig in der kurzen Zeit wirtschaftlicher Prosperität der 1950er bis frühen 1970er Jahre konnten auch Arbeiterfrauen sich auf ein Dasein als Mutter und Hausfrau beschränken. Tatsächlich waren es also gerade mal knapp 20 Jahre, in denen das vermeintlich so „normale“ traditionelle Modell von Vaterschaft und Familie auch in der Realität tatsächlich dominierte.

Neue Zeiten
Schon Mitte der 1970er Jahre brachen neue Zeiten an: Das bürgerliche Väter- und Männerideal verlor – aus einer Reihe von Gründen –  zunehmend an Bedeutung.

Noch in den 1950er und 1960er Jahren konnte Mann davon ausgehen, einen Beruf zu ergreifen und bis zur Pension auszuüben. Arbeitsplätze und Einkommen waren sicher – das traditionelle männliche Brotverdienermodell war nicht nur ein Ideal, sondern auch in der Praxis realisierbar.
Seit den 1970er Jahren aber verschlechterten sich die Bedingungen für kontinuierliche Erwerbsarbeit zusehends. Hohe Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, befristete Beschäftigungen – das ist nun die Realität am Arbeitsmarkt. Damit klafften Idealvorstellung und Wirklichkeit immer mehr auseinander, der Mann als Ernährer verlor an Zuverlässigkeit. 

Zugleich wurde die Notwenigkeit des männlichen Ernährers durch bessere Bildung und Qualifikation der Frauen sowie durch ihren Anspruch, ebenfalls berufstätig zu sein, ebenfalls Karriere zu machen, unterminiert. Der Vater muss nicht mehr allein für das finanzielle Auskommen der Familie sorgen, soll stattdessen andere Aufgaben übernehmen.

Die Rolle des Vaters als alleiniger abwesender Ernährer der Familie wurde damit obsolet. Er war nicht mehr zuverlässig, nicht mehr nötig und oft gar nicht mehr erwünscht.   

Wünsche und Realität
Internationale Studien zeigen: Auch viele Väter wünschen sich heute mehr zu sein, als nur der finanzielle Versorger. Sie wollen Anteil und Verantwortung an der Betreuung und Erziehung der Kinder übernehmen. Politisch – auf Staats- aber auch EU-Ebene – wird dies ebenfalls aktiv gefördert.
Diese Untersuchungen zeigen aber auch, dass die Praxis oft anders aussieht. Häufig ist es aus praktischen und finanziellen Gründen nicht möglich, die Rollen von Vater und Mutter so zu gestalten, wie Neue Väter und Neue Mütter das gerne möchten. Immer noch sind es überwiegend die Frauen, die den Großteil der Eltern- und Hausarbeit übernehmen und ihren Beruf dafür zurückstellen.

Eigene Entscheidungen
In all dem ist das Ideal des Neuen Vaters diffus. Persönliche Wünsche, gesellschaftliche Anforderungen und realistische Möglichkeiten sind oft konträr und schlicht nicht vereinbar. Ein klar konturiertes Idealbild des neuen Mannes gibt es nicht.
Der Neue Vater ist Verhandlungssache, ist ein individuelles Konstrukt. Väter, Mütter und Kinder verhandeln, entwickeln und leben gemeinsam das jeweils erwünschte und umsetzbare Modell. Die Frage Mann oder Milch muss der Mann von heute also letztlich für sich selbst beantworten.

Lektüre zum Thema:

  • Harry Friebel, Von der hegemonialen Männlichkeit zu Parallelkulturen von Männlichkeiten. In: Momentum. Quarterly. Zeitschrift für Sozialen Fortschritt 2015 4/2, 99-117.
  • Johanna Possinger, Vaterschaft im Spannungsfeld von Erwerbs- und Familienleben.  „Neuen Vätern“ auf der Spur. (Wiesbaden 2013).
  • Michael Meuser, Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. (Wiesbaden 2010).
Martina Nothnagel